Es ist Mittwoch. Lasst mich einfach bügeln.
Kopfkissenbezüge.
Mein Kind hat Schulferien, ich habe Urlaub, die Ukraine hat Krieg. Mein Mann hat ab Donnerstag Urlaub.
Kinder-Bettwäsche.
Inzwischen wohnen wir länger als einen Monat im neuen Zuhause. Schon eine Woche nach Umzug war mir, als hätten wir nie anderswo gewohnt – erstens weil wir erprobt darin sind, einen Umzug gründlich abzuwickeln und ein neues Zuhause rasch einzurichten, zweitens weil diese Wohnung uns das Wohlfühlen leicht macht. Lediglich heute früh – in der stillen Küche, das Kind muss gar nicht zur Schule, ich muss gar nicht zur Arbeit – fiel mich einmal die Desorientierung von der Seite her an: Wo bin ich hier? Eine Ferienwohnung vielleicht, und für wie lange hatten wir die wohl gebucht? Wann müssen wir wieder nach Hause?
Bettwäsche, Bettwäsche. Ich habe keine Bekleidung für die Spendensammlung des THW übrig; vor dem Umzug habe ich alle Kinderklamotten, die zu klein geworden sind, abgegeben, um jedes bisschen Ballast loszuwerden, und ich selbst habe eigentlich nie Kleider-Überschuss, ich kaufe mir neue Hosen, wenn die alten kaputt sind. (Bettwäsche besitze ich etwas mehr; bei Umzügen kann ich die Spiegel und Bilder darin einwickeln, und wir haben häufig Übernachtungsgäste.) Nichts horten. Für welche Ewigkeit soll man seinen Quatsch denn auf Dachböden, in Abstellkammern, in Kellern lagern, wenn man dem Leben ständig hinterherrennt? Wir brauchen nur das Reisegepäck, die Marschausrüstung.
Die Hose für die Arbeit.
Alles andere ist was für zufriedene Fossilien.
Der Pullover fürs Heimwerken, nicht bügeln. Die andere Hose für die Arbeit.
Im Fernsehen zieht eine Gruppe von Frauen, beladen mit Taschen und Rucksäcken und an den Händen die Kinder, durch Bruch, Ruß, Kälte, Gewühl, Dunkelheit. Die Geschichte fängt immer wieder von vorne an.
Hemden, neu.
Letztes Jahr hatte mein Mann einen neuen Job angenommen, damit wir in diese Gegend wechseln konnten. Umzug direkt in mein Elternhaus, wir wollten es sanieren, es tat mir weh, dass es nach und nach herunterkommt. Meiner Mutter, die dort im Obergeschoss lebt, war der gute Wille am Ende doch zu viel, das Entrümpeln und Umbauen und Putzen und Tapezieren und Streichen und Bodenverlegen und so weiter, und kurz bevor wir viel Geld aufgenommen hätten für eine Elektro-, Heizungs- und Fassadenrettung, habe ich dann verstanden, dass wir’s bleiben lassen müssen. Dass meine Mutter keine Veränderung aushält. Dass ich deswegen meine Mutter nicht aushalte.
Bettwäsche.
Damals war ich weg, sobald die Tinte auf meinem Abiturzeugnis knapp trocken war; nur raus da, aus dem Haus, aus der Familie, raus aus dem Dorf, weg, weg! Ich wäre gern einmal nützlich gewesen zuhause, durfte aber nie: Fass nichts an – sei aber nicht so faul, tu doch auch mal was – aber fass nichts an. Sobald ich dann weg war das Gejammer – niemand da, keiner kümmert sich. Ich kam oft, hier bin ich, ich fasse jetzt an, räume auf, kümmere mich, und immer hieß es dann, fass nichts an, das hat alles seine Ordnung hier, und sei nicht so überheblich, als wüsstest und könntest du alles besser, also ging ich wieder, und immer hieß es dann, warum lässt du uns im Stich und fasst nie mit an, alles muss man hier alleine machen, keiner kümmert sich. Es fängt immer wieder von vorne an.
Hemden, Hemden.
Ich hätte gern dieses eine Zuhause gehabt, ich wäre gern nie gegangen. Ich war ja nicht gegangen, weil ich anderswo hingewollt, sondern nur, weil ich dort weggewollt hatte, bevor mein Verstand sich selbstständig verabschiedet hätte, von mir.
Blusen.
Ich muss den Fernseher abschalten mit all diesen Menschen, die ihr Leben, ihre Vergangenheit, ihr Zuhause verlieren, während ich, ein zufriedenes Fossil, am Bügeltisch herumstehe und sie dabei begaffe. Ich hatte, finde ich, inzwischen zu viele Zuhäuser, aber ich hatte nie keins. Es geht mir so gut, unverschämt gut, jedes Gejammer verbietet sich, der Blitz soll mich treffen.
Blusen.
Ich kann Bügeln im Grunde nicht ausstehen, wissen Sie? Alle Hausarbeit ist ihrem Wesen nach repetitiv, sisyphosiv. Es fängt immer wieder von vorne an. Aber ich nehme allmählich durchaus die besänftigenden Qualitäten dieser Tätigkeit wahr, Tatsache.
Ärmel, Knopfleiste, Torso, Kragen. Ärmel, Knopfleiste, Torso, Kragen. Ärmel, Knopfleiste –
Es fängt immer wieder von vorne an.
Die Piraten-Bettwäsche. Wie neu, obwohl bestimmt schon drei Jahre alt. Nein. Sieben Jahre. Acht? Ich begreife nicht, dass das stimmen kann, aber das tut es. Ich muss mich setzen. Wo bin ich hier? Ich schaue aus dem Fenster und zähle auf, was ich sehe, in einem Ton, der unbewusst, zufällig das Vokabeln-Aufsagen aus der Schulzeit nachahmt (ich war immer absolut vokabelsicher; meine Diktion möchte mir dieses alte, kindliche Selbstzutrauen einflößen wie tröstlichen Kakao): Mittellandkanal, nicht Elbe-Seitenkanal, drei Pappeln, keine Kastanie, kein Walnussbaum, Kreisstraße, Weidefläche, keine Schallschutzmauer zum Stadtring, kein Schustergeschäft, (ich gebe jetzt einen Haufen Bettwäsche weg und denke nicht darüber nach, wie oft ich meine Spiegel und Bilder darin eingewickelt habe, damit sie beim Umzug nicht zerkratzen, und ich denke auch nicht darüber nach, worin ich beim nächsten Mal meine Spiegel und Bilder einwickeln werde, denn ich denke wie jedes Mal, dass das nun der letzte Umzug war, ganz sicher,) Blick nach Süden, nicht nach Nord-Ost, (ich habe die Dinge im Griff, ganz sicher,) nicht auf den Hof, auch nicht auf die Adolph-Schönfelder-Straße, (ich bin hier in Sicherheit,) auch nicht auf den Blücherplatz, auch nicht auf die Sauerweinstraße, auch nicht auf —
Wir haben doch 2022, richtig? 2022, ja. Wir haben Urlaub, die Ukraine hat Krieg. April. Ein Mittwoch. Lasst mich einfach bügeln.